Neuropsychologische Kennzeichen von Zwangserkrankungen
Gleichzeitig wissen wir aus Studien mit bildgebenden Verfahren, dass der Gehirnstoffwechsel bei Zwangserkrankungen leicht verändert ist. Insbesondere hat man bei Patienten mit Zwangserkrankung einen erhöhten Glukose-Stoffwechsel in der Erregungsschleife zwischen Vorderhirn und den Basalganglien, einer Struktur im Zentrum des Gehirns, gefunden.
Ausgehend von dieser Entdeckung ging man in den vergangenen Jahren vielfach der spannenden Frage nach, ob sich diese Stoffwechselveränderungen auch in einer veränderten geistigen Leistungsfähigkeit äußern.
In einer Reihe von Studien der letzten Jahre konnte gezeigt werden, dass Zwangsstörungen in vielen Fällen tatsächlich mit einer verminderten Fähigkeit einhergehen, Informationen zu strukturieren oder bildhafte Wissensinhalte wiederzugeben. In einigen Untersuchungen wurde Patienten beispielsweise eine komplizierte Figur gezeigt mit der Aufgabe, diese abzuzeichnen (s. Abbildung rechts oben).
Sollte die Figur unmittelbar danach spontan aus der Erinnerung auf Papier wiedergegeben werden, hatten viele Patienten deutlich mehr Probleme als gesunde Testpersonen. Schon beim Abzeichnen wurde deutlich, dass sich die Patienten oft an Einzelheiten „verzettelten“ und die Hauptbestandteile der Figur nicht erfassten, was das Einprägen erschwerte. Nicht selten geben Menschen mit Zwangserkrankungen tatsächlich an, sich komplexe Informationen nicht gut einprägen zu können, weil sie sich zu sehr auf Details konzentrieren oder, sprichwörtlich gesagt, „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“.
Ebenso scheint es Patienten mit Zwangserkrankung z.B. etwas schwerer zu fallen, sich flexibel auf wechselnde Anforderungen einzustellen. Dies wird beispielsweise mit Aufgaben erfasst, bei denen Personen zunächst mehrere Male auf einen bestimmten Reiz reagieren müssen und sich dann auf einen neuen Reiz als Reaktionssignal einstellen müssen.
Die festgestellten Auffälligkeiten sind allerdings in den seltensten Fällen so stark ausgeprägt, dass eine erhebliche Alltagsbeeinträchtigung für den einzelnen vorliegt. Deutlich sind die Defizite häufig dann zu erkennen, wenn man den Leistungsdurchschnittswert einer Gruppe von Zwangspatienten demjenigen einer Gruppe von Gesunden gegenüberstellt.
Das Gedächtnis für sprachliche Informationen sowie die allgemeine Intelligenz sind dagegen neueren Untersuchungen zufolge unbeeinträchtigt. Auch die Fähigkeit, logische Probleme zu lösen oder die Aufmerksamkeit nur auf einen bestimmten Reiz zu richten, wich nur in wenigen Untersuchungen von der Fähigkeit gesunder Testpersonen ab.